Eine Morgenbetrachtung

Die alte Fernsehantenne vor dem Fenster schaukelte als sich ein Vogel darauf setzte. Das Gestell rieb sich an der Mauer. Das sanfte Kratzen weckte mich aus dem leichten Schlaf. Vorsichtig riskierte ich ein Auge um zu sehen, was für ein Tag mich erwartete. Das Stückchen Himmel, das ich vom Bett aus sehen konnte war stählern blau. Die Birken vor dem Nachbarhaus wiegten sich leise im Wind, in den Spitzen der Zweige schimmerten die ersten Sonnenstrahlen auf den Blättern.
Eine Meise machte sich an den letzten Resten des Futterknödels zu schaffen. Geschickt ließ sie sich vom Metallgerüst der Antenne auf das Netz nieder flattern, und während sie mit dem Schnabel durch die Maschen hineinstocherte, schaukelte sie hin und her und verursachte jenes Geräusch, das mich geweckt hatte. Ich freute mich, dass sie immer noch kam, obwohl meine Katze wiederholt versucht hatte sie zu erwischen.

Unbewusst fuhr meine Hand über die Decke neben mir und mir fiel auf, dass mein Mann noch nicht nach Hause gekommen war. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Auch wenn er ein guter Autofahrer war und stets zu äußern pflegte, dass „Unkraut“ nicht vergeht, so machte ich mir jedes Mal aufs neue Sorgen, wenn er zu einer bestimmten Zeit noch nicht zu Hause war. Dann betete ich immer. Ich horchte nach draußen und manchesmal hörte ich das dumpfe Brummen des Dieselmotors, wenn er in unsere Straße einbog. Erleichtert seufzte ich auf, wenn ich kurz danach hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. „Wieder mal Glück gehabt“ sagte ich mir und schalt mich einen Narren weil ich mich geängstigt hatte.

Wenn er so zeitig kam, dass ich noch nicht aufstehen musste, brachte er mir die kühle Frische des jungen Morgens; ich schenkte ihm dafür die Wärme und Geborgenheit der vergangenen Nacht. Wenn wir einander etwas zu erzählen hatten so sprach er stets von einem „Heute“ das für mich schon gestern war. Wenn er mich bat morgen etwas für ihn zu erledigen, so wusste ich, dass er diesen Tag meinte. Wenn ich aber noch mal einschlief und später meine Erledigungsliste durchging war ich mir nicht mehr so sicher ob „morgen“ schon „heute“ oder erst „morgen“ war. Wenn ich dann in das Zimmer kam und nachfragen wollte, schlief er tief und fest.

Da lag er nun; ein riesen Lakl von einem Mann, und doch wirkte er so hilflos und verletzbar, wie ein kleines Kind. Nein, ich wollte ihn jetzt nicht wecken. Morgen, wenn er ausgeschlafen war, also heute Mittag. Behutsam deckte ich ihm die Füße zu, die immer unter der Decke hervorstanden. Ein beifälliges Brummen drang an mein Ohr. Er wälzte sich auf die Seite, schmatzte ein paar Mal mit den Lippen und schluckte, als würde er etwas essen ehe er wieder in tiefen Schlaf sank. Auf Zehenspitzen schlich hinaus und schloss leise die Tür. Nein, ich würde ihn nicht wecken. Aber jemand anderer auch nicht! Der Vorzimmerdrache war erwacht.

Doris Pikal